Ein 5. Platz für Deutschland bei den Winter-Deaflympics 2024 in Erzurum

In der Zeit vom 2.3.2024 bis 12.3.2024 fanden in Erzurum, im Osten der Türkei, die
Winter-Deaflympics, die Olympischen Winterspiele der Gehörlosen, statt. Neben den
traditionellen Wintersportarten, den Skidisziplinen, Snowboard und Curling, standen
auch Futsal und Schach auf dem Programm der Winterspiele.

Die deutsche Auswahl war vertreten durch eine Damenmannscahft im Futsal, drei
alpine Skiläufer und eine Schachmannschaft. Die Schachmannschaft bestand aus Peter
Preisner (Duisburg, Hamburger GSV), Artur Kevorkov (Flensburg, GSV Halle),
Dr. Wolfgang Kössler (Berlin, Dresdner GSV), Mohammed Reza Ghadimi (Kiel, GSV
Halle) und Christian Opitz (Radolfzell, GSV Halle). Betreuer war Holger Mende (Halle/
Saale). Leider fiel einer unserer Spitzenspieler, IM Sergey Salov (Lübeck), kurzfristig
krankheitsbedingt aus, was eine große sportliche Schwächung für unser Team bedeutete.

Die Reihenfolge der Spieler wurde nach taktischen Gesichtspunkten vorgenommen, so
dass unsere Aufstellung für die Gegner schwerer vorherzusehen war.

Am 27.2.24 flogen die Sportler, Trainer, Offizielle, Physiotherapeutinnen, Gebärdensprachdolmetscher und Fotografen von verschiedenen Standorten in Deutschland und der Schweiz über Istanbul nach Erzurum. Für die Berliner, so auch für mich, kam es zur Komplikation, da unser Flugzeug erst mit einer Stunde Verspätung in Berlin abflog, weil sich die Gangway nicht vom Flugzeug lösen lies. Der BER bestätigte wieder einmal seinen schlechten Ruf. Wir verpassten den Anschlussflug nach Erzurum, was eine Hotelübernachtung und jeweils einstündige Busfahrten zwischen Flughafen und Hotel und eine unruhige Nacht in Istanbul zur Folge hatte.

Nachdem wir gut in Erzurum angekomen waren, ging es zur Akkreditierung ins Organisationsbüro. Die folgenden Tage verbrachten wir mit Training, ganz kleinen Stadtrundgängen, Ausflügen und Besuchen der Skisportstätten. Sehr schön waren insbesondere die Ausflüge zum 3271m hohen Palandöken und zu den Felsformationen Narman Bacalari, die sehr an Kappadokien erinnern.

Der Turnierplan sah vor, dass zunächst jeweils (m/w) eine Blitzmeisterschaft für Einzelspieler ausgetragen wird. Unter den 61 Teilnehmern im Männerturnier belegten Mohammed Reza Ghadimi und Artur Kevorkov die Plätze 6 und 10. An den beiden darauf folgenden Tagen fanden Mixed-Wettbewerbe statt (je zwei Männer und Frauen in einer Mannschaft). Eine deutsche Mannschaft konnte nicht teilnehmen, da wir nur eine einzige, allerdings sehr starke gehörlose Spielerin (Annegret von Erichsen) in Deutschland haben. Im Gegensatz zu Weltmeisterschaften oder offenen Turnieren sind bei der Olympiade keine Frauen in der Männermannschaft zugelassen. Deshalb war Annegret auch nicht dabei.

Normalerweise werden Teamwettbewerbe der Olympischen Spiele in neun RundenSchweizer System ausgetragen. Die Veranstalter hatten jedoch lediglich sechs Runden vorgesehen. Irgendwie einigte man sich schließlich auf sieben Runden, wobei die zweite und dritte Runde am selben Tag gespielt wurden, sonst eine Runde pro Tag. Interessant ist vielleicht die Wertung, nach der gespielt wurde, zunächst Mannschaftspunkte, wie gewohnt. Danach zählen nicht die Brettpunkte, sondern bei Mannschaftspunktgleichheit zählen nur die Ergebnisse der punktgleichen Mannschaften untereinander, natürlich nur wenn sie gegeneinander gespielt haben. Besteht immer noch Punktgleichheit, dann kommt als Drittes eine Wertung, die sich Brettwertung des gesamten Turniers nennt und die sich dem Ausenstehenden nur sehr schwer erschliest. Erst eine Nachfrage per EMail bei einem meiner ehemaligen Studenten, dem Internationalen Schiedsrichter Eckart Stets, brachte hier Klarheit. Für einen Sieg am ersten Brett gab es 100 Wertungspunkte, an den folgenden Brettern sind es jeweils 94, 90 und 88, für ein Remis jeweils die Hälfte. Bei einem Freilos gibt es keine Wertungspunkte.

Am Teamwettbewerb der Männer nahmen 13 Mannschaften teil. Als Nr. 5 der Setzliste spielten wir in der ersten Runde, am 7.3., gegen die Nr. 11, Armenien, und gewannen 3:1. In der zweiten Runde hatten wir die Nr. 2 der Setzliste, Polen als Gegner. Artur Kevorkov gewann seine Partie gegen Mateusz Lapaj souverän, siehe folgende Partie (Artur mit Weiß)

Peter Preisner und ich verloren, wobei ich einen möglichen Gewinnzug übersah. Mohammed Reza hatte eine gewonnene Stellung, die er jedoch in Zeitnot zum Remis verdarb, 1.5:2.5. Bis zur nächsten Runde waren nur zwei Stunden Zeit. Wir fuhren mit dem Taxi zum Mittagessen im Hotel, mussten allerdings noch auf das Essen warten. Mir war das zu hektisch, so fragte ich Peter, ob er am Nachmittag gegen Kasachstan spielen möchte. Er wollte und ich setzte dann aus. Peter verlor jedoch seine Partie am ersten Brett, die anderen schafften nur ein Remis, wieder 1.5:2.5. Jetzt waren die Medaillenchancen so gut wie dahin.

In der vierten Runde gab es dann ein Freilos. Das Wetter war schlecht, wir nutzten die Zeit zur Partievorbereitung und zur Erholung. In der fünften und sechsten Runde waren die Gegner dann leichter, wir siegten gegen die Türkei und gegen Bosnien-Herzegowina jeweils 4:0. Jetzt waren wir auf Platz 5. Den galt es wenigstens zu halten. Das Los für die siebte Runde bescherte uns dann den Topfavoriten Kroatien. Wir sahen uns die Partien der Gegner in der Spielerdatenbank an. Ich hatte gegen den IM Branko Juvakovic mit Schwarz zu spielen. Er spielte in der letzten Zeit oft eine Sizilianisch-Variante, die ich früher auch öfter spielte. Ich sah mir das genauer an, und glaubte eine Möglichkeit gefunden zu haben, um zu einem Remis zu kommen. Es kam auch genau diese Variante aufs Brett und später hatten wir eine Stellung, in der ein Abweichen von der Zugwiederholung für Weis nachteilig gewesen wäre, das Remis gegen einen IM war für mich ein Erfolg. Auch meine Mitspieler kämpften jeweils um mindestens einen halben Punkt, was letztlich auch gelang, 2:2. Damit hatten wir den fünften Platz gesichert, was ein einigermasen versöhnlicher Abschluss war. Olympiasieger wurde Kroatien vor Polen und Kasachstan.

Spielort war ein Jugendfreizeitzentrum, 4km vom Hotel entfernt. Die Spielbedingungen dort waren nicht gut, würde man bei einer Olympiade nicht erwarten. Elektronische Schachbretter gab es nur für die jeweils ersten zwei Mannschaftspaarungen. Alle anderen spielten auf teilweise schmierigen Kunststofffolien mit Plastikfiguren. Alle Bretter standen sehr eng und teilweise schief an der Tischkante. Der Aufenthaltsbereich war viel zu klein. Insofern waren wir nicht böse, dass wir nur sechs Runden zu spielen hatten, obwohl wir unter normalen Umständen gerne mehr gespielt hätten. Der Turnierablauf selbst war aber in Ordnung.

Im Gegensatz dazu war die Organisation durch die deutsche Delegationsleitung hervorragend. Wir hatten einen ganzen Flur im Hotel, vier Tische im Restaurant, das Hotel hatte eine Sauna. Sogar Massage wurde uns Schachspielern angeboten, was wir auch nutzten, um unsere verspannte Schultermuskuatur zu lockern. Die Zeitplanung war sehr großzügig. Wir hatten genug Zeit, um zwischen den Trainings in die Stadt zu fahren, das Halbfinale der Futsalspielerinnen zu besuchen oder Ausflüge in die Berge zu machen. Vielen herzlichen Dank dafür!

Star unserer Delegation war Nele Schutzbach, die in den alpinen Skidisziplinen vier Medaillen, drei Silber- und eine Bronzemedaille gewonnen hat. Darüber hinaus gewann das Frauen-Futsal-Team die Bronzemedaille in einem dramatischen Spiel um Platz 3.

Wolfgang Kössler